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Rating in der Krise

 
Piccadilly, Samstag, 28.3.2020

Piccadilly, Samstag, 28.3.2020

 
 

Können wir uns im Angesicht des „lock down“ ganzer Länder und Industrien auf die Ergebnisse bisheriger Ratingsystematiken verlassen?
Die bisherigen Ratings für Immobilien stellen sich wohl überwiegend als zu gut dar. Der mit der aktuellen Krise verbundene Paradigmenwechsel wird uns keine Wahl lassen, neue Kriterien einzuführen oder bestehende deutlich stärker zu gewichten, um so zu einer risikogerechteren Differenzierung zu finden.

Das Rating bei Immobilien ist nicht nur für das Risikomanagement von Banken und Versicherungen von Bedeutung. Auch für die Entscheidungen von Investoren ist es eine „Guideline“ für Portfolioqualität und „Pricing“ bei An- und Verkaufsentscheidungen.

Objektrating und Marktrating sind die wesentlichen Kategorien, in die viele Informationen einfließen, um die Ausfallwahrscheinlichkeit zu messen.
Für das Objektrating sind im Lichte der aktuellen Erfahrungen neue Fragen zu den verschiedenen Assetklassen Office, Logistics, Retail, Hotel, Leisure etc. zu formulieren und zu bewerten.

  • Wie robust sind die Assetklassen im Krisenfall?

  • Welche Auswirkungen auf die cash-flows sind bei teilweiser- oder vollständiger Schließung zu befürchten?

  • Sind die „Erholungsszenarien“ für die jeweiligen Assetklassen unterschiedlich ?

  • Wie stellt sich die „Pyramide“ möglicher staatlicher Schließungs-maßnahmen für die Assetklassen dar (Sportstudios / Lifestyle Services / Baumärkte u.v.a.) oder wie „unabdingbar“ ist die Assetklasse bzw. der Mieter für die tägliche Versorgung (Lebensmittel EZH / Apotheken etc.)?

Die Liste ist lang und könnte noch fortgesetzt werden.


Auch beim Marktrating im länderspezifischen Kontext, mit Faktoren wie z.B. „politische, juristische, steuer- und währungspolitische Rahmenbedingungen“ ergeben sich zusätzliche Bewertungsfragen. Dies gerade im Hinblick auf eine bisher in Teilbereichen unterstellte einheitliche „EU-Zone“.

  • Werden die nationalen Gesundheitssysteme adäquat bewertet? Wie können englische mit französischen, italienischen, spanischen, deutschen Gesundheitssystemen im Hinblick auf „Schockresistenzen“ verglichen werden?

  • Wie wird die wirtschaftliche „stand alone“ Situation nationaler Staaten im Krisenfall (Schließung von Grenzen, Stopp für Lieferungen) wirtschaftlich zu bewerten sein?

  • Wie fließen die Kriterien nationaler Regelungen (z.B. Hilfsprogramme) ein, die evtl. nur Empfänger bzw. Gesellschaften aus den Heimatstaaten berücksichtigen (cross border risk)?

Investoren werden überdenken, ob das Rating bzw. Pricing einer vergleichbaren Immobilienklasse und -qualität z.B. in Mailand, Madrid, London und Berlin noch risikoadäquat und marktgerecht ist.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der jetzigen Pandemie sind sicher nicht adäquat in unseren Ratingsystemen hinterlegt – wie sollten sie auch?

Aber dies sollte Anlass sein, die „Krisensensitivität“ einzelner Assetklassen und Länder im Hinblick auf z.B. Migrationsrisiken, geopolitische Risiken, EU / Euro-Risiken stärker zu prüfen und so eine realistischere „Spreizung“ bei den Ratings herbeizuführen.

 
Frank Lamby